Wenn man an Schach in der Belletristik denkt, fällt einem zuerst und vielleicht allein Stefan Zweigs populäres Werk „Schachnovelle“ ein. Nun verdiene dieses literarisch anspruchsvolle Meisterstück selbstverständlich Würdigung, doch um mit dieser Eindimensionalität zu brechen, werde ich mich im Folgenden bemühen die (zu Unrecht!) etwas unbekannteren Werke, selbstverständlich in aller Kürze, zu beschreiben.
Den Anfang macht an dieser Stelle „Lushins Verteidigung“ (1930) von Vladimir Nabokov, welcher vor allem durch seinen Bestseller „Lolita“ bekannt sein sollte. Alexander Iwanowitsch Lushin ist schon seit seiner Kindheit Außenseiter. Ein fanatischer Schachspieler, der im Alter von 18 aufgrund der politischen Lage im Russland der 20er-Jahre des vorigen Jahrhunderts ins Exil gezwungen wird. Er reist durch ganz Europa, lernt jedoch keine neue Welt kennen, da er sich einzig von seiner Passion begeistern lässt. Seine Abhängigkeit von diesem Spiel erreicht dramatische Ausmaße. Von Ärzten wird ihm empfohlen Abstand vom Schachspiel zu nehmen, um ein annähernd „normales“ Leben ohne psychotische Schübe führen zu können. Dies wäre Lushin wohl nie gelungen, hätte er nicht das Glück seiner großen Liebe zu begegnen. Lushin heiratet die intelligente Frau und führt kurze Zeit ein scheinbar unbeschwertes Leben. Schon bald wird allerdings klar, dass ihn das verdammte Spiel nicht loslässt. Seine Gattin bemerkt dies und scheint schon prophylaktisch die Beziehung zu begraben, da sie sich über ihre Chancenlosigkeit im Kampf gegen das Schachspiel im Klaren ist…
Das vielleicht Beeindruckendste an Nabokovs genialem Roman ist, wie er diese pathologisch verrückte Person zu einem sympathischen, tragischen Helden werden lässt. Die sensibel gezeichnete Liebesgeschichte tut ihren Teil, um mit Lushin mitzuzittern. Man hofft einerseits, dass er dieser verdammten Sucht entkommt, doch zugleich hat man Verständnis für diesen Mann und seine Abhängigkeit. Der Titel meint also nicht nur, wie anfangs vermutet wird, eine Schachverteidigung, vielmehr ist es auch eine prinzipielle Verteidigung des Protagonisten durch den Autor. Ein gefühlsbetontes und derart menschliches Meisterwerk vom großen Vladimir Nabokov. Alle zur Verfügung stehenden Daumen hoch!
Ein Buch, welches sich sehr intensiv mit dem Spiel selbst auseinandersetzt und Schach nicht als thematischen Rahmen versteht, ist der Roman „Carl Haffners Liebe zum Unentschieden“ (1998) von Thomas Glavinic. Modell für diese Mischung aus Roman und historischem Sachbuch steht der Weltmeisterschaftskampf zwischen Karl Schlechter und Emanuel Lasker in Wien 1910.
Haffner ist ein philanthropisches Schachgenie, das sich ähnlich wie Lushin – wenngleich nicht in demselben Ausmaß – schwer tut mit dem Leben klar zu kommen. Auch er flüchtet sich in die Welt des Schachspiels. Das Genie schafft es, den amtierenden Weltmeister Lasker in einen Weltmeisterschaftskampf zu zwingen. Während des Lesens hat man jedoch nicht wirklich das Gefühl, dass Haffner den Sieg in diesem Duell tatsächlich als Ziel hat. Seine extrem ruhige Art, seine Einfühlsamkeit und sein Mitleid dem jüdischen Gegner gegenüber und seine tiefe Verbundenheit zu seiner Schwester sind Elemente die wesentlich stärker thematisiert werden als sein Siegeswille. Seiner Person und seiner prinzipiellen Einstellung entsprechend endet der Vergleichskampf mit einem Remis und Lasker bleibt Weltmeister. Viel stärker als diese Niederlage schmerzt den Leser jedoch, dass es Haffner nicht vergönnt ist, ein zufriedenes Dasein in dieser politisch unruhigen Zeit zu fristen. Er scheint an diesem Spiel und am Leben selbst zu zerbrechen. Großartiges Buch von Thomas Glavinic, seines Zeichens ein starker Schachspieler. Dies muss so sein, denn sonst könnte man wohl kaum auf diese Weise über das königliche Spiel schreiben (Er selbst ist auch noch in der ELO-Liste zu finden!).
„Die letzte Partie“ von Fabio Stassi ist das jüngste hier behandelte Werk, es stammt aus dem Jahr 2009. Es ist ein Versuch, das beeindruckende Leben des kubanischen Weltmeisters Jose Raul Capablanca nachzuzeichnen. Capablanca entriss Emanuel Lasker 1921 den Weltmeistertitel, ehe er ihn gegen den großen Aljechin verlor. Insofern ist das fesselnde Buch von Stassi als Biografie zu verstehen, tatsächlich ist es viel mehr. Der Italiener greift Passagen aus dem Leben der „Schachmaschine“ (tatsächlich oft so genannt) heraus, um ein spannendes Gesamtbild zu zeichnen. Besondere Bedeutung haben die Rivalität und die gleichzeitige professionelle Bewunderung für seinen Gegner Aljechin. Anders als in den meisten Werken, die das Schachspiel zum Thema haben, ist der Protagonist hier kein „unsichtbarer“ Mensch, der mit sich selbst hadert und im Kampf gegen das Leben zu verlieren scheint. Capablanca ist in Kuba ein gefeierter Held, dem die Frauen nicht widerstehen können. Ein sehr empfehlenswertes Buch, ein spannendes biografisches Werk mit besonderem Aufbau!
Das letzte Buch in dieser kurzen Literaturbesprechung vereint das Schachspiel, die Geschichte und die Politik in besonderem Maß. „Wie Bobby Fischer den kalten Krieg gewann“ (David Edmonds, John Eidinow; 2007) ist die Geschichte des wohl bekanntesten Schachspielers aller Zeiten, gleichzeitig aber auch eine exemplarische Analyse der Beziehung zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten. Die Hauptdarsteller Boris Spassky und Robert James Fischer kämpfen 1972 in Reykjavik um den Weltmeistertitel. Das Besondere an diesem Duell und der Grund, warum es der bekannteste Schachwettkampf der Geschichte ist, ist ein politisch motivierter. Vor dem Hintergrund der Aufrüstungsspirale in der Hochzeit des Kalten Krieges geht es darum, zu ermitteln, wer denn nun die intelligentere Supermacht ist. Der Sieg des verrückten Amerikaners über den eigentlich wesentlich offeneren, wenn man so will, westlicheren Spassky, ist ein außerordentlich wichtiger Sieg für die USA und ein Schlag ins Gesicht für die Russen, welche stets an ihre intellektuelle Überlegenheit glaubten. Ein zwar sehr historisches, jedoch äußerst spannendes und amüsantes Fachbuch. Dringend Reinschauen!
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