Eine amerikanische Schachkarriere auf den Spuren Bobby Fischers
Die nun folgende Rezension ist was ganz besonderes, da sie sich einer einzelnen Person widmet, nämlich dem 25-jährigen amerikanischen Superstar Hikaru Nakamura. Dies ist auch gleichzeitig eine Premiere, da wir bisher noch kein reines Schachbuch präsentiert haben, desto gespannter darf man sein, was in den nächsten Zeilen geschrieben wird. Mit Hikaru tauchen wir in die Welt der Genialität ein. Viele Leute vergleichen ihn mit Bobby Fischer, und diskutieren ob er ihm schachlich ebenbürtig oder sogar überlegen gewesen wäre. Aber nun mehr über das Buch „Kämpfen und Siegen mit Hikaru Nakamura“, geschrieben von dem allseits bekannten deutschen Großmeister Karsten Müller und dem Schachjournalisten Raymund Stolze. Von GM Müller haben wir bereits eine Endspiel-DVD kennengelernt (Schachendspiele 3 – Schwerfigurenendspiele), und wir dürfen gespannt sein, wie dieses Zweigespann das Buch umsetzt. Kurz sollten jedoch noch ein paar Worte zu Hikaru gesagt werden: In einem Alter von nur 2 Jahren zieht er mit seiner Mutter und seinem Bruder Asuka von Japan nach USA. Dort wird er unweigerlich von seinem Stiefvater Sunil Weeramantry, der in den USA als einer der besten Schulschachtrainer gilt, auf Schach geprägt. Es ist weniger ein hartes Training mit seinem Stiefvater, sondern eher das selbständige Schachstudium mit dem Computer und dem Internet das Hikaru vorantreibt. Hikarus etwas älterer Bruder zeigt als erster von den beiden das Potential zum guten Schachspieler. Hikaru zieht zuerst gemächlich, dann jedoch schneller nach. Ihm liegt viel Wert daran sein Schach alleine zu verbessern, ganz ohne Druck. Diese Phase dürfte sein ganzes Leben prägen. Mit 10 Jahren wird Hikaru jüngster Schachmeister der USA aller Zeiten und fünf Jahre danach der jüngste amerikanische Großmeister. Dadurch unterbietet er sogar den Rekord der Schachlegende Bobby Fischer aus dem Jahre 1958. Anhand von tausenden, abertausenden Schachpartien im Internet verfeinert er seine Sinne, und festigt sein Gefühl für Stellungen. Derzeit gilt er als einer der weltbesten Blitzspieler (v.a. 1-Minute-Partien), und zusätzlich ist er amtierender Weltmeister im Chess960, sprich dem Fischer-Schach, bei dem die Figuren auf der eigenen Grundreihe zufällig aufstellt werden, lediglich die Bauern bleiben am gleichen Ort. Anfang 2011 knackt er die Top 10 der Welt und kann dann sogar auf fast ein Jahr Training mit seinem Idol, Garry Kasparow zurückblicken, jedoch verfolgen beide andere Ansichten und die Wege trennen sich.
Aber nun, schnallt euch an, haltet euch fest, es geht los. Hikaru zeigt euch wie einfach und schön Schach sein kann.
Aufbau
Das Buch umfasst 232 Seiten und ist im Taschenbuchformat fein handlich überall mitzunehmen. Die Häufigkeit der gesetzten Abbildungen, die Tiefe der Varianten und auch deren Klarheit lassen es zu, dass ein halbwegs geübter Schachspieler viele Partien im Kopf nachverfolgen kann, was sehr praktisch ist, da das Schachbrett nicht immer parat ist. Zu Beginn des Buches ist eine kurze und bündige Einleitung der Autoren zu finden, jedoch geht es mit einem Prolog von GM Lubosh Kavalek schon gleich an das Eingemachte. Kavalek war ein sehr starker Spieler, schaffte es sogar in die Top 10 der Welt, ist inzwischen Schachjournalist, und ist mit dem schachlichen Geschehen in den USA gut vertraut. Er war u. a. auch Sekundant von Bobby Fischer bei der WM Reykjavik anno 1972. Ihm wird die Ehre zuteil, das Buch mit dem Thema „Hikarus Aufstieg zur Weltspitze“ zu eröffnen. In den folgenden Seiten zeigt er beeindruckende Partien von Hikaru, auch solche, bei denen er mal fehlgreift. Kavalek schließt mit den Worten, dass Hikaru das Zeug zu einem Weltmeister hätte, jedoch muss dafür sein Spiel noch stabiler werden.
Nun kommen wir zur Gliederung des Buches. Insgesamt werden 47 Partien von Hikaru gezeigt, dabei sind alle 13 Partien des denkwürdigen Tata Steel Turniers in Wijk an Zee (NED) von 2011 inkludiert. Bei diesem Turnier gelingt Hikaru der absolute Durchbruch zur Weltelite. Die Top 4 der Welt (Carlsen, Anand, Aronian und Kramnik) ist vertreten, und Hikaru weist sie alle auf die Plätze. Unterm Strich verliert er zwar gegen seinen Angstgegner Magnus Carlsen, kann das Turnier trotzdem mit dem alleinigen 1. Platz abschließen. Spätestens seit hieran zeigt er der ganzen Schachwelt welches Potential in ihm steckt.
Das Buch wird unterteilt in 10 Kapitel, welche mit sehr unterhaltsamen, sogar spektakulären Partien ausgeschmückt werden:
1) Lehrjahre oder der amerikanische Weg zum Erfolg
2) Magie der Eröffnungen
3) Höhenflug durch Endspielstärke
4) Der Taktik-Profi
5) Ohne Kampf kein Sieg – Auf den Spuren Bobby Fischers
6) Hikaru Nakamura exklusiv im Interview
7) Die Bäume wachsen noch nicht in den Himmel
8) Der Spieler
9) Große Liebe Königsindisch – ein Kurzrepertoire à la Nakamura
10) Hikaru Nakamuras beste Partien
Inhalt
Wie schon anhand der straffen Einteilung ersichtlich ist, lassen die Autoren nichts unbehandelt. Für gewöhnlich werden an dieser Stelle, wie auch bei den DVD-Besprechungen, wichtige oder spannende Kapitel herausgehoben, jedoch fällt das bei diesem Buch besonders schwer, da alle Kapitel mehr oder weniger wie eine lange, spannend erzählte Story zusammenhängen. Nichts desto trotz, muss betont werden, dass das persönliche Interview (ca. 10 Seiten) mit Hikaru besonders interessant ist, und ehrlich gesagt, nicht fehlen durfte. Was auch essentiell ist, ist das Kapitel „Der Spieler“ da es Hikaru besonders charakterisiert. Er bringt einfach Leben in die Bude, umgangssprachlich gesagt. Ob es nun Neuerungen in ausgefuchsten Eröffnungen oder schöne taktische Spielereien sind, Hikaru beherrscht mit seiner offenen, angriffslustigen und innovativen Spielweise viele Eigenschaften, die das Schach revolutionieren und unterhaltsam machen. Ein weiteres sehr interessantes Kapitel ist bzgl. der Liebe von Hikaru zu der Königsindischen Eröffnung. So muss der Rezensent gestehen, dass es immer eine Freude ist, wie auch damals schon zu Zeiten von Kasparow, der auch ein starker Spieler in dieser Eröffnung war, Hikaru zuzusehen, wie er die schwarzen Steine führt. Sein Kommentar hierzu trifft den Nagel auf den Kopf: „Es ist vermutlich die einzige Eröffnung, in welcher der Computer komplett daneben und Menschen komplett richtig liegen können.“ So ist es auch nicht verwunderlich, dass bei den besten Partien von Hikaru, diese Eröffnung ganz stark vertreten ist, und auch die Punktequote von fast 60% ist überragend für Schwarz. Man kann jedem Schwarzspieler das Studium von Hikarus Partien empfehlen. Auch wenn nichts hängen bleibt, vergisst man den temporären Augenschmaus sicher nicht komplett.
So, nun mal eine Runde aufstehen, dehnen und tief durchatmen, denn jetzt folgen ein paar kleine Kombinationen, natürlich nur ein ganz kleiner Auszug von den Glanzleistungen von Hikaru. Mitknobeln ist erwünscht!
Krassenkow – Nakamura, 2007 – Schwarz am Zug!
Hikaru muss diese Stellung bereits richtig berechnet haben, denn offensichtlich hängt einiges Material von Schwarz. Weiß zog gerade 1. Lb2xf6?! und übersah das faszinierende Damenopfer auf f2! Dieses Damenopfer ist die einzige Möglichkeit, so, falls es Punkte zu verdienen gäbe, gibt es nur für 1. … Dxf2!! welche. Was geschieht dann? 2. Kxf2 (2. Kh1 verliert auch entscheidendes Material nach Dxf6 3. Lxc6 Dxc6+ 4. Df3 Dc8) Lc5 3. Kf3 (die anderen Varianten verlieren auch) Txf6+ 4. Kg4 und Se5+! und es stinkt schon ziemlich nach Matt!
Nakamura – Karjakin, 2004 – Weiß am Zug!
Vermutlich haben hier viele nach taktischen Gewinnwegen gesucht, aber ab und zu ist ein guter Plan wichtiger. 1. Tc4! Txc4 2. bxc4! und in der Folge wird sich der Springer auf d5 einnisten und Weiß hat angenehmes Spiel. In der Partie gerät Karjakin von der Fährte ab und verliert sehr schnell.
Gelfand – Nakamura, 2012 – Was ist von 1. Tc6-c2 zu halten?
Dieser Zug sieht auf den ersten Blick nicht so schlecht aus, so wird ja die schwache zweite Reihe überdeckt. 1. Tc2?? verliert ganz klar nach 1. … Ted4. Nun ist nicht die zweite Reihe, sondern die Grundreihe die größte Schwäche. Diese kann nicht abgewendet werden und Gelfand gibt sofort auf. Hingegen 1. Td6 hätte wohl remisiert.
Und zum Abschluss noch ein fettes Schmankerl, die Lieblingspartie des Rezensenten:
Gelfand – Nakamura, 2010 – Schwarz am Zug!
Ein Krawallzug!! 1. … Dd3!! Weiß muss wohl aus allen Wolken gefallen sein! Es gibt keine Verteidigung. Es folgt noch 2. Sxe5 (alle anderen Züge führen auch zur klaren Niederlage) Lxf1 3. Dxf1 Dxc3 und nun verliert sowohl 4. Tc1 wegen Dxe5 als auch 4. Sd3 wegen Dxc7.
Fazit
Wie man vermutlich unschwer erkennen kann, ist der Rezensent überzeugt von diesem Buch! Es ist sehr angenehm geschrieben und es eignet sich wirklich zum Lesen! Man muss sich nicht höchst konzentriert hinsetzen, um ewig langen Varianten folgen zu können, nein, es wird wirklich auf das Wesentliche konzentriert, wodurch der Lesefluss nicht unnötig unterbrochen wird. Was auch sehr interessant ist, sind die Erzählungen aus erster Hand von Hikarus Sekundanten Kris Littlejohn oder wie bereits erwähnt das Exklusiv-Interview mit Hikaru selbst. Last but not least, ohne auf den Preis hinzudeuten, dürfte ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis auf diesem hohen Niveau kaum überzeugender dargestellt werden als hier. Wenn etwas bemängelt werden könnte, so wäre es nicht wie es Herr John D. Warth auf der Homepage von Chesscafe betont der häufige Vergleich von Hikaru zu Bobby, denn das ist ja schließlich einer der Hauptaufhänger dieses Buches, sondern eher die Gliederung. Es wird nicht klar warum diese Gliederung in 10 Kapitel ausgewählt wird, denen, wie es für den Leser scheint, die 13 Partien von dem legendären Turnier in Wijk an Zee 2011 zufällig zugeordnet werden, welchen zusätzlich noch Unterkapitel angehängt werden . Diese haben wiederum nicht zwingend mit den Partien was zu tun. So werden z.B. in Kapitel 9 drei Partien von Wijk an Zee beschrieben, eine Partie wurde mit Caro-Kann, eine mit Spanisch und die dritte Partie mit Benoni eröffnet und im Anschluss folgt die Betonung der Autoren auf die Vorliebe von Hikaru auf Königsindisch. Nichts desto trotz kann man über diesen kleinen „Schönheitsfehler“ hinwegsehen, da ja der Inhalt und die Präsentation des Buches um Vieles wichtiger ist als die Zuordnung von Partien.
Zur Info, wer Interesse an diesem Buch „Kämpfen und Siegen mit Hikaru Nakamura: Eine amerikanische Schachkarriere auf den Spuren Bobby Fischers“ von Karsten Müller und Raymund Stolze gefunden hat, kann es beim Verlag Praxis Schach, Edition Olms 2012 um nur EUR 19,95 erhalten. Die gleichzeitig erschienene englische Ausgabe kostet EUR 24,95. Alternativ kann das Buch auch unter Schach-Ticker gekauft werden. Unter dem Strich ist das ein Schnäppchen, das einem viele Stunden pure Schachspannung garantiert!